Depression
Als ich dich dort liegen sah, war ich mir sicher: du wirst dir die Bettdecke nur noch weiter über den Kopf ziehen. Klar, ein grauer Novembertag lädt zum Liegenbleiben ein. Aber es war elf Uhr vormittags. Ich war schon früh aufgestanden, habe Frühstück gemacht, mein Kind zur Schule gefahren, mich selbst zur Arbeit. Besprechungen, Kaffee, eine Stunde Seminar… und jetzt stand unsere Musiktherapie-Einheit auf dem Plan.
Als ich dich später fragte, was du heute schon so gemacht hast, sagtest du: nichts. Du hattest im Speisesaal gefrühstückt und dich dann zurück in dein Zimmer verzogen, ins Bett.
Verschlafen sahst du mich an. Man hatte mich vorgewarnt, dass du Angebote meist ablehnst und so war ich vorbereitet. Aber die Ablehnung kam nicht. Du bist aufgestanden, hast dir Schuhe und Jacke angezogen und bist mit mir zum Musikraum geschlürft. Alles wie in Zeitlupe, aber bewegt.
Meine Fragen hast du nur kurz und knapp beantwortet – so leise, als wärst du gar nicht da. Beim Begrüßungslied hast du deinen Blick gehoben, so als würdest du mich jetzt erst sehen.
Dann hast du das erste Lied ausgesucht und ich konnte endlich deine Stimme hören. „Bei Tag und Nacht denk ich an dich, Marina!“ Noch ganz zögerlich probierten wir die ersten Zeilen, aber beim Refrain dann warst du schon wach: „Marina, Marina, Marina, dein Schick und dein Charme der gefällt…“ Dein Körper blieb statisch auf dem Sessel sitzen. Dein Gesicht blieb bleich, als hätte es nie die Sonne gesehn. Aber mit jedem Lied war deine Stimme mehr da. „Hello again, du ich möchte dich heut noch sehn…“ Von Howard Carpendale hast du mir erzählt und davon, was du dir für unser Treffen kommende Woche wünschst: Ein Lied von Claudia Jung.
Der Rückweg zur Wohngruppe ging etwas weniger schlürfend, doch dass die Schnürsenkel aufgingen und schlaff auf den Boden hingen, war dir schon egal.
Blass, als hättest du nie die Sonne gesehn.