Neujahrswunsch
Ich habe schon einmal von ihr erzählt, im alten Jahr. Jetzt ist es neu, aber die Demenz ist die alte geblieben. Vielleicht. Naja, ich merke schon, dass sich etwas verändert. Wenn ich bei Liedern mehr als nur die erste Strophe und den Refrain singe, stockt sie. Eine zweite Strophe will ja zur selben Melodie einen anderen Text singen. Das scheint nicht mehr zu gehen. Es irritiert und macht sie still. Also wiederholen wir einfach die erste und die beruhigende Vertrautheit kehrt wieder ein.
Wir singen von Omas, die so lieb sind, obwohl du mir von deinen Enkeln nichts mehr erzählen kannst. Von Gedanken, die frei sind. Sie fliegen dir davon. Es berührt mich, wenn du beim Probier’s mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und… wie selbstverständlich von Geborgenheit singst. Sie gehört nicht in den Liedtext. Aber seit Monaten singe ich es nun schon so wie du. Weil ich das Wort so mag. Und weil ich dich zumindest in diesem Lied erleben lassen kann, dass es sie gibt. Die Geborgenheit.
Heute habe ich dich ganz bewusst nicht nach deinem Lied-Wunsch gefragt, sondern danach, was du dir für das neue Jahr wünschst. Ich war nicht sicher, ob du mich verstehst. Immerhin hattest du mir schon fünf Mal dieselbe Frage gestellt, als hätten wir uns gerade erst getroffen. Aber in deiner Antwort warst du ganz klar:
„Dass ich den Gang der Musik nicht vergesse. Zu zweit geht das besser.“