Oma

Jul 26, 2025Von Claudia Knabe
Claudia Knabe

Oma, komm, wir setzen uns auf diese alte Bank. Dann erzählst du mir von dir und mir, und ich, ich hör‘ nur zu. Nur zu. So wie damals, als ich neben dir lag, noch ganz klein. Deine Stimme singt mir Lieder, deine Hand bemalt meinen Rücken und ich bin einfach da. Einfach da.

Das ‘einfach sein‘ hab ich verlernt, Oma. Bin so erwachsen geworden, dass meine Füße in Schuhen auf ein Gaspedal treten, statt nackt durch den Garten zu laufen. Heute mach ich’s trotzdem. Und sehe diese Bank. Diese Bank mit dir drauf. Komm, Oma, erzähl mir von dir. Wie war das damals mit Opa? Hast du ihn gemocht? Er war ja immer da. Denk ich an ihn, denk ich an die Tagesschau, beschriftete Videokassetten und Gartenarbeit. Und an sein Pfeifen. Denk ich an dich, dann sind da süße Erdbeeren, in weißen Zucker getaucht, zwei Liegestühle, ein Klavier und deine Lieder. Wie gern möchte ich heute mit dir singen. Lang, lang ist’s her…lang, lang ist’s her…

Heute besuche ich diese alte Frau. Einmal pro Woche. Musiktherapie. So sehr freut sie sich über meine Besuche, erzählt von ihren Sorgen und Schmerzen, von Angst und Alleinsein. Zusammen singen wir ihre Lieder, die nicht meine sind. Heute seh ich die Bank, auf der du nicht sitzt und weine um jedes Lied, dass ich mit dir nicht gesungen habe.

Weil ich 16 war, als du starbst. Weil ich mit 16 nicht kapiert hab, wie sehr du mir fehlen wirst und was ich alles verpasse, wenn ich nicht JETZT bei dir bin. Weil du zu früh gegangen bist. Und weil ich zu früh gegangen bin – aus deiner warmen Nähe. Vielleicht hast du mich schon vermisst, als wir noch beide lebten. Ich Dummkopf aber tu’s erst jetzt. Erst jetzt. 

Komm, Oma, setz dich doch zu mir, auf diese alte Bank. Dann sind wir da. Einfach da. Oma.