Vom Wünschen und Vergessen
Ich wünsche mir, dass alles so bleibt, wie es ist. Das sagt sie mir, wenn wir uns treffen und ich nach ihren Wünschen frage. Eigentlich meine ich einen Liedwunsch. Was könnten wir als nächstes singen? So hätte ich vielleicht fragen sollen. Aber dann hätte sie mir diesen Wunsch vermutlich nicht verraten.
Alles soll so bleiben, wie es ist.
Das kann ich kaum verstehen. Sie lebt doch in diesem Heim. Immer, wenn ich sie zur Musiktherapie abhole, sitzt sie an diesem Tisch im Speisesaal. Vor ihr ein Plastikbecher mit Tee, manchmal Kakao oder Kaffee. Das „Latzerl“ liegt im Schoß. Das lassen wir hier, sage ich, lege es auf den Tisch und beginne, ihren Rollstuhl zu manövrieren.
Passt schon, sagt sie oft. Noch so etwas, das mich irritiert. Wie kann das passen? Wie kann das alles für sie passen? Klar, sie lebt schon lange hier. Dieser Alltag, diese Umgebung, sind ihre Realität. Da kommen Wünsche nur noch in Liedern vor. Ich hab dich lieb, sagt sie, einfach so. Mich? Was soll ich dazu sagen? Wenn wir die passende Melodie dazu geben, erklingt ein Lied von Heintje. Dann kann ich antworten und wir finden Gemeinsamkeit. Ihr Satz ist aufgehoben im
„Ich sing ein Lied für dich, ein kleines Lied für dich, sing es froh in den Tag hinein. Jedes Wort, es soll dir sagen: Ich hab dich lieb, nur dich allein.“
Meist singen oder summen wir dieses Lied schon im Fahrstuhl und auf den Fluren bis zum Musikzimmer. Dann sind wir eingeschwungen und fühlen uns wohl. Das ist schön, wenn man so zusammen ist, sagt sie später am Klavier. Das finde ich auch. Wir singen gemeinsam, finden die Worte oder hangeln uns über bekannte Melodien bis hin zum Refrain. Der klingt immer wie ein Ankommen.
Gestern hat sie mir etwas erzählt. Keiner darf bevorzugt werden! Das scheint ihr sehr wichtig zu sein. Weil wenn einer bevorzugt wird, dann ist spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn, gehn wir in den Garten, schütteln wir die Birn… Als wäre es das einzig Logische geht sie direkt in dieses Lied über. Ich stimme mit ein und wir singen wieder.
Alles soll so bleiben, wie es ist. Das wünscht sich die Demenz. Was wünschst du?