Wie kannst du nur?

Jul 04, 2025Von Claudia Knabe
Claudia Knabe

Schwere Behinderung ist ein Grenzbereich. Menschen mit einer schweren Behinderung zeigen Grenzen auf. Uns allen. Sie leben – trotz unserer Grenzen. Sie leben – mit unseren Grenzen. Sie erleben – unsere Grenzen und ihre eigenen.

Ich bin eine Grenzgängerin. Schon seit Langem. Ländergrenzen, Berufsgrenzen, Geschlechtergrenzen, Möglichkeitsgrenzen. Ich gehe gern ein Stück weiter, wo andere stehen bleiben oder gar umkehren. Ich mag das, obwohl es nicht immer leicht ist. Und oft nicht gern gesehen. Manchmal bewundert, manchmal stark diskutiert oder dumm kommentiert.

Musiktherapie mit Menschen mit schwerer Behinderung ist ein Grenzgebiet. Vermint. Manche sagen: Ich könnte das nicht, alle Achtung! Andere sagen: Wie kannst du nur? Es zu tun ist das Eine. Hinter sicher verschlossenen Türen eines Therapieraumes. Wertvolle Arbeit, die wenige tun.

Aber wenn ich die Türen öffne, gemeinsam mit den Menschen, mit denen ich arbeite. Wenn Klient:innen, Familien und Therapeut:innen zeigen, was wir tun, wie wir kommunizieren, uns begegnen, einander suchen und manchmal finden. Wenn wir trotz großer Barrieren über Grenzen gehen und das auch noch öffentlich… dann spalten sich die Reaktionen der Anderen.

Von „Wow“ und „Love“ und „Großartig“ über „Muss das sein?“ und „Ist der dumm?“ bis hin zum „Wie kannst du das nur zeigen?“ ist alles dabei. Es wird auch diskutiert, ob Namen fallen dürfen. Natürlich geht es um Persönlichkeitsrechte, die gewahrt werden müssen. Natürlich gibt es ethische Dilemmas, wenn Menschen nicht deutlich, mit klar verständlichen Worten einwilligen können, wenn Erwachsenenvertreter:innen die Rechte derer vertreten, die ihnen anvertraut sind. Achtsamkeit, Vorsicht und ein aufmerksames Hören auf ganz andere Signale scheinen mir hier besonders wichtig. Niemand soll verletzt werden, bloßgestellt oder in persönlichen Rechten eingeschränkt.

Aber ist es denn nicht auch ein Recht, die eigene Persönlichkeit nach außen zu zeigen und sich so auszudrücken? Ist es nicht auch eine Einschränkung der Persönlichkeitsrechte, wenn ich meine Klient:innen „verstecke“ und die Möglichkeit auf Sichtbarkeit nicht einmal zur Diskussion stelle? Einfacher wäre es sicher. Brav in den Grenzen bleiben, kein vermintes Feld betreten. Aber wie gelingt dann Teilhabe? Wie werden dann diejenigen sichtbar, die sich übersehen und überhört fühlen?

Menschen mit schweren Behinderungen, ihre Familien und die, die sie pflegen, unterstützen, begleiten.

Ich bin dabei. Als Grenzgängerin. Und ja, ich will mich nicht verstecken. Deshalb bleibe und werde ich – sichtbar.